Das Geheimnis der Knospen

Das Geheimnis der Knospen

„Knospen gleicht der Gedanke, es gleichen den Blüten die Worte;
Aber der labenden Frucht gleichet die kräftige Tat.“
(Johann Jakob Schnerr, Buchbinder, Lehrer und Dichter, 1788 – 1869)

 

Der lateinische Name für Knospe ist Gemma, was übersetzt Edelstein, Juwel oder auch Auge bedeutet. In diesen Worten ist bereits zu erahnen, dass es sich dabei um etwas sehr Kostbares handelt. In der Knospe verbirgt die Pflanze ihr allumfassendes Wissen, ihre Energie, ihre Kraft, die Urinformation der Natur. Bis ins kleinste Detail ist die spätere Gestalt der Blätter und Blüten um ein Vielfaches verkleinert bereits angelegt. Die Knospe kämpft sich trotz ihrer Zartheit mit aller Kraft durch ihre oft grobe, rustikale Hülle – denken wir an den Ast eines Baumes. Es geht dabei um eine geballte innere Bewegung, die zum richtigen Zeitpunkt das „Auge“ öffnet, um die Welt in ihrer ganzen Pracht wahrzunehmen.

In einem immer wiederkehrenden Rhythmus, angepasst an die klimatischen Bedingungen, erleben Bäume und Sträucher jedes Jahr aufs Neue eine Art Wiedergeburt. Sie können in vollem Vertrauen darauf, dass alles wieder von vorne beginnt, im Herbst ihr Blätterkleid fallen lassen. Es ist eine Art Versprechen an sich selbst, sich Jahr für Jahr zu erneuern. Die Knospen sind für die Natur die Grundlage des Lebens. Der Zyklus einer Knospe verbindet Herbst, Winter, Frühling und Sommer und lässt uns Menschen damit am Jahreskreis teilhaben. Im Frühling zeigt sich diese gewaltige Urkraft, die in den Knospen liegt, auf wundervolle und vielfältige Art und Weise. Das Wiedererwachen der Natur steht für Neubeginn. Dieser Anfang wurde früher mit dem Jahreskreis-Mondfest Imbolc am 1. Februar gefeiert. Imbolc ist gälisch und bedeutet „Erste Regung des Kindes im Bauch von Mutter Erde“.

 

„Im Herbst enthalten alle Knospen in ihrem Inneren in einem winzigen Maßstab
vorgebildet und kunstvoll zusammengefaltet und zusammengerollt
bereits alle für das nächste Jahr notwendigen Blätter und Blütenstände.“
(Jean-Denis Godet)

 

Wie erkennt man Knospen im Winter?

Bäume oder Sträucher im Winter ohne Laub zu bestimmen ist nicht ganz einfach. Es gibt jedoch verschiedene Erkennungsmerkmale: das äußere Erscheinungsbild eines Baumes, die Äste und Zweige und dessen Rinde können ebenso wie Dornen, Stacheln oder die Anordnung der Knospen (gegenständig, wechselständig oder zweizeilig) Auskunft über die Art des Gewächses geben.

Beim Sammeln von Knospen nimmt man der Pflanze einen Teil ihrer Lebensgrundlage, weshalb auf einen sehr achtsamen und behutsamen Umgang zu achten ist. Man sammelt mit Ehrfurcht und Wertschätzung nur ganz wenige Knospen pro Baum oder Strauch, auch wenn es sich dabei oft um winzige Pflanzenteile handelt.

Was macht Knospen so wertvoll?

Knospen sind reich an embryonalem Gewebe mit hoher Zellteilungsaktivität. Sie enthalten alle genetischen Informationen der späteren Pflanze, die dann der Knospe die Kraft geben, ein Blatt, eine Beere oder eine Frucht zu bilden. Die Konzentration der Wirkstoffe – Mineralstoffe, Vitamine, Proteine, Enzyme und sekundäre Inhaltstoffe – ist besonders hoch, weshalb Knospen nachweislich besondere Heilkräfte haben.

Wie kann man Knospen nutzen?

Die effektivste Art, die Heilkraft der Knospen zu nutzen, ist bei einem winterlichen Spaziergang die eine oder andere Knospe zu pflücken und roh zu verzehren. Wichtig ist dabei, die Knospe gut und lange zu kauen, damit die Wirkstoffe bereits im Mund gelöst werden. Obwohl die Knospen oft nur wenige Millimeter groß sind, gibt es unterschiedlichste Geschmacksrichtungen.

Die Knospen in der Heilkunde haben schon eine Jahrtausende alte Tradition. Wie alte Schriftstücke belegen, wurden Knospen schon lange vor Hildegard von Bingen oder Paracelsus in China oder Ägypten zu Heilzwecken angewandt. Man kann aus ihnen verschiedene Extrakte mit Hilfe von Wein, Essig oder Sole sowie Ölauszüge, Tinkturen oder Oxymel herstellen. Bei der sogenannten Gemmotherapie werden Knospen in einem Glycerin-Alkohol-Wasser-Gemisch angesetzt und 3-4 Wochen ausgezogen. Dafür verwendet man etwa einen Teelöffel gut zerkleinerte Knospen und übergießt diese mit je 30 g Glycerin, destilliertem Wasser und 70%igem Alkohol. Nach ca. 4 Wochen abseihen und in ein Fläschchen mit Pumpspray abfüllen.

Welche Knospen man sammeln kann und wie man sammelt und verarbeitet, lernt man am besten bei einer geführten Kräuterwanderung. Es ist unumgänglich, die Knospen sicher und ohne Zweifel zu erkennen um ihre Heilwirkung zu erfahren.

Vielleicht sehen wir uns bei der nächsten Knospenwanderung?

Bis dahin, alles Liebe

Angelika & Silvia

 

Quelle: Gemmotherapie, Ganz & Hutter, Dr. Orphelia Herdits Riemer

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